Die Urväter der Dysgnathiechirurgie: Angle, Whipple und Blair
Die drei (Zahn-)ärzte ANGLE, WHIPPLE und BLAIR sind unter anderem durch die vielfach zitierte "St. Louis-Operation" in die Geschichte eingegangen, mit der sie eine mandibuläre Prognathie mit einer beidseitigen Ostektomie des Unterkieferkörpers behandelten [1]. ANGLE erkannte frühzeitig, dass eine echte mandibuläre Prognathienur durch einen chirurgischen Eingriff zu korrigieren ist [8]. Nach STEINHÄUSER (2003) war VILRAY BLAIR ein Allgemeinchirurg, der sich zwar eine solche Operation zutraute, unter dessen Patienten sich jedoch keiner mit einer derartigen Beeinträchtigung befand. WHIPPLE, der als Mittler fungierte, verwies seinen Patienten nach einem neuerlichen Wachstumsschub an ANGLE, der ihm zunächst nicht helfen konnte. Nichtsdestotrotz folgte später eine Publikation, in der Blair verschiedene chirurgische Techniken zur Korrektur von Unterkieferanomalien beschrieb, indem er die Notwendigkeit der Rassendifferenzierung bei der Planung schilderte und die Notwendigkeit einer Berücksichtigung der Gesichtsharmonie postulierte [57]. 1897 operierte BLAIR als erster eine echte Prognathie und beschrieb diese in zahlreichen Publikationen. Er verwies dabei insbesondere auf den amerikanischen Zahnarzt JAMES WHIPPLE, der die präoperativen Vorbehandlungen vollzogen hatte.
BLAIR hatte zunächst damit begonnen, die eigentlichen Eingriffe an Kadavern zu trainieren. Das operative Vorgehen beschrieb er wie folgt: Der Patient wurde zunächst mittels Chloroform anästhetisiert, wobei er derart auf dem Operationstisch platziert wurde, dass dessen Kopf über die Kante hing und damit die Wirbelsäule als Ganzes überdehnt und somit der Reflex der Mundöffnung herbeigeführt wurde [9]. Der Kopf als auch der Unterkiefer wurden mit Hilfe eines Drahtes oder sonstiger Apparaturen derart fixiert, dass sich ein guter Zugang zum eigentlichen Operationsgebiet zeigte.
Der operative Zugang erfolgte extraoral durch Inzision entlang der Unterseite des Corpus mandibulae und weiter entlang der Außenfläche des Corpus. Die entstandene Narbe sollte damit so gut wie unsichtbar bleiben. Das entsprechende Knochensegment wurde beidseits so im Prämolarenbereich osteotomiert, dass dieses nach einer präoperativen Berechnung den Werten der späteren Kieferstellung entsprach (Abb. 5).
Im Anschluss durchtrennte BLAIR dort etwa 75% des Unterkiefers mittels doppelblättriger Säge, bevor er weiter an der kontralateralen Seite fortfuhr. Anschließend konnten die Sägeschnitte erweitert und der Unterkiefer durchtrennt werden. Mit Hilfe eines Kupferdrahtes verband er die am Unterrand gesetzten Bohrlöcher mit den Unterkieferfragmenten, wobei BLAIR im Zuge dessen darauf hinwies, dass bei unzureichender Fixierung des Unterkieferbogens der Oberkiefer dem Unterkiefer als Splint dienen sollte [9]. Die dadurch entstandenen Lücken wurden mit Guttapercha aufgefüllt und die Oberkieferzähne mit denen des Unterkiefers verbunden. Grundidee für dieses Vorgehen waren die ANGLE´SCHEN KIEFERBRUCHRINGE [9]. Der postoperative Verlauf gestaltete sich jedoch schwierig, da sich der Patient erbrach und deswegen die Fixierung wieder gelöst werden musste. Um den Unterkiefer erneut zu fixieren, wurde ein äußerer Gipsverband angelegt, unter dem es zu einer knöchernen Konsolidierung kam. Durch eine anschließende Überkronung der Zähne konnte die nun neutrale Okklusion wiederhergestellt werden. Die Operationsmethode stieß kaum auf Nachahmer, da es zu einer Nekrose des Mittelsegments gekommen war [25].
Weitere Operationsmethoden, an deren Entwicklung BLAIR und WHIPPLE beteiligt waren, sind die "V-förmige Osteotomie" oder auch die "treppenförmige Osteotomie" (Abb. 6), welche insofern Neuerungen darstellten, weil damit die Problematik des offenen Bisses behoben werden konnte.