Heutige Therapie
Seit den Anfängen in der Dysgnathiechirurgie sind über 30 Jahre vergangen, in denen es immer wieder entscheidende Neuerungen gab [57].
Die in den Kapiteln 3, 4 und 5 beschriebenen Entwicklungen zeigen, dass durch die zahlreichen technischen Neuerungen nicht nur der operative Aufwand gesunken ist, sondern auch, dass sich der Fokus der Forscher mehr und mehr auf Methoden richtete, die ein postoperatives Rezidiv zu minimieren in der Lage sind.
Als typisches Beispiel kann hier die chirurgische Gaumennahterweiterung gelten, die den Vorteil besitzt, dass bei Platzmangel in der transversalen Ebene des Oberkiefers dieser durch eine Oberkieferosteotomie korrigiert werden kann. Damit stellt diese Methode den state of the art bei transversaler Oberkieferenge dar.
Bei der Behandlung der Oberkiefervor- bzw. -rücklage sowie bei Schiefständen des Oberkiefers ist heute die Le-Fort-I-Osteotomie die Standardoperation. Die Fixation des Oberkiefers geschieht in der Regel durch vier Osteosyntheseplatten, die jeweils an der Crista zygomaticoalveolaris und nahe der Apertura piriformis gesetzt werden. Oberkiefersegmentosteotomien werden nur noch selten und in Ausnahmefällen durchgeführt.
Für die Unterkieferumstellungsosteotomie bei der Behebung einer mandibulären Pro-, Retro- oder Laterognathie ist die Methode nach OBWEGESER / DAL PONT, modifiziert nach HUNSUCK-EPKER, der Goldstandard, der auch in allen Universitätskliniken gelehrt und durchgeführt wird. Diese Operation gewährleistet die vergleichsweise größten Erfolge bei gleichzeitiger Minimierung der postoperativen Komplikationen und Rezidive. Alle anderen beschriebenen Methoden sollten daher nicht oder nur in begründeten Einzelfällen angewendet werden, da sich diese als komplikationsträchtig erwiesen und keine Vorteile gegenüber der Standardtechnik bieten. Wie die Segmentosteotomie im Oberkiefer werden die Unterkiefersegmentosteotomien heutzutage nur noch selten bei bestimmten Indikationen durchgeführt.
Umstellungsosteotomien lassen sich heutzutage nach modernem Konzept gut in nasaler Intubationsnarkose kurzstationär durchführen. Wegen Nachblutungsgefahr und möglicher postoperativer Verlegung der Atemwege sollten Eingriffe dieser Art am Ober- und Unterkiefer nicht ambulant durchgeführt werden. Die Fixation geschieht heute durch funktionsstabile Miniplattenosteosynthese, die die instabile Drahtosteosynthese in den letzten Jahren abgelöst hat.
Die kombinierte Ober- und Unterkieferosteotomie wird heute in einer Operation durchgeführt und nicht wie früher, zweizeitig. Dabei kann heute aufgrund der dargestellten Methoden, der schonenden Präparation und der deutlich verringerten Operationszeit routinemäßig auf eine Eigenblutspende, auf Bluttransfusionen und auf eine postoperative Intensivbetreuung verzichtet werden. Die Patienten haben auch bei der bimaxillären Umstellungsosteotomie eine geringe postoperative Morbidität und können schon nach wenigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Intermaxillär eingebrachte Gummizüge (Elastics) steuern durch Führung des Unterkiefers in die gewünschte und errechnete Position einem Rezidiv entgegen und sollten während der Heilungsphase belassen werden.
Die Verwendung von Drahtosteosynthesen bei der Fixation nach Osteotomie unterlag in den letzten 25 Jahren grundlegenden technischen Neuerungen und Änderungen. Speziell bei der früher angewandten Drahtosteosynthese im Unterkiefer mussten die Patienten vier bis sechs Wochen intermaxillär fixiert bleiben. Mittlerweile wird durch die Verwendung stabiler Osteosynthesetechniken eine sofortige postoperative Mundöffnung ermöglicht. Dabei unterscheidet man die Stellschraubenosteosynthese als distanzerhaltende Osteosynthesemöglichkeit von der Miniplattenosteosynthese. Beide Osteosynthesearten haben Vor- und Nachteile. Vorteile der Drahtosteosynthese sind die postoperative muskel- und gelenkbezogene Einstellung des Kiefergelenks. Entscheidende Nachteile sind die Hygienefähigkeit des Mundraumes, die Nahrungsaufnahme und die eingeschränkte Sprechfähigkeit.
Die früher angewandte kraniofaziale Drahtaufhängung ist durch die Miniplattenosteosynthese verdrängt worden. Synonym wird auch die Bezeichnung „Kirschner-Draht“ verwendet, der vor allem bei Reposition und Fixierung von metaphysären Frakturen, diaphysären Frakturen und der temporären intraoperativen Fixierung von Bruchfragmenten angewendet wurde, wobei der Vorteil im geringen operativen Aufwand und der geringen Invasivität zu sehen ist. Diese Drähte sind zudem sehr biegsam, wobei auch eine gewisse Bewegungsstabilität und damit ein selbständiges Einstellen des Kiefergelenks erreicht werden kann. Typische Nachteile und Komplikationen eines Einsatzes von Drahtosteosynthesen sind Wundinfektionen, Einsteifung der Gelenke und Muskelatrophie . Auch Drahtbrüche oder das Auswandern der Drähte (Exposition) können mögliche Komplikationen darstellen. Lediglich vereinzelt werden noch bei Le-Fort-I- und -II-Frakturen Jochbogenaufhängungen durchgeführt, wobei die Jochbögen im Oberkiefer derart mit Aufhängedrähten umschlungen werden, dass eine mandibulo-maxilläre Fixierung für mindestens drei Wochen bestehen bleibt.
Die Fixation durch Miniplattenosteosynthesen im Ober- oder Unterkiefer bietet gegenüber der intermaxillären Fixation mit Drähten eine Reihe von Vorteilen : Sie bietet eine erhöhte Stabilität, : eine distanzerhaltende Osteosynthese, die dreidimensionale Stabilisierung von Segmenten und den Verzicht auf eine lang dauernde intermaxilläre Immobilisation , die nicht nur für den Patienten unangenehm ist, sondern sich auch ungünstig auf die Mundhygiene auswirkt. Die intermaxilläre Fixation wird heute nur noch dann angewendet, wenn keine andere Möglichkeit einer Fixation der Knochenfragmente besteht, z.B. wenn bei der Osteotomie des Unterkiefers die Bruchlinie von der geplanten Osteotomielinie abweicht und der Unterkiefer nicht mehr mit Stellschrauben oder Miniplatten zu versorgen ist („bad split“).
Die Entfernung des Osteosynthesematerials wird heute konträr diskutiert. Eine Empfehlung zur Entfernung des Fremdmaterials liegt vor, jedoch wurden keine Nachteile beschrieben, wenn dieses belassen wurde.
Im Fazit lässt sich festhalten, dass die hier beschriebenen Osteotomien einer immensen historischen Weiterentwicklung unterlegen sind, um angeborene oder erworbene Fehlstellungen im Kiefer- und Gesichtsbereich zu beheben.
Dennoch sollte die Umstellung des Ober- und/oder Unterkiefers nur in Verbindung mit einer kieferorthopädischen Therapie erfolgen, um die Zahnbögen des Ober- und Unterkiefers ideal auszuformen. Erst nach der kieferorthopädischen Vorbehandlung sollte im Zuge einer optimalen Operationsplanung eine Operationssimulation durch Röntgen-, Foto- und Modellanalyse durchgeführt werden.
Insbesondere sollte bei dem eingehenden Aufklärungsgespräch neben den üblichen Risiken und Komplikationen auch auf die ästhetischen Veränderungen der Gesichtsweichteile und der Gesichtsform sowohl enface als auch im Profilbild deutlich hingewiesen werden, um nicht übersteigerte Erwartungen enttäuschen zu müssen. Dies betrifft nicht nur die Funktionalität einzelner Habits, sondern auch die entsprechende ästhetische Veränderung des äußeren Zustandsbildes.
Bei der Operationsplanung ist zu beachten, dass die Gesichtsweichteile bei Verlagerung des Ober- und/oder Unterkiefers nicht im gleichen Ausmaß den neu geformten Knochenstrukturen folgen. Auch sollte bei nicht optimaler Verzahnung ein Operationssplint angefertigt werden; bei der gleichzeitigen Verlagerung des Ober- und Unterkiefers ist ein Operationssplint eine notwendige Maßnahme zur Positionierung des Oberkiefers.
Bei der Röntgenanalyse werden zumeist eine Panoramaschichtaufnahme und ein Fernröntgenseitenbild (FRS) benötigt. Nur in Ausnahmefällen und bei komplexen Fehlbildungen wird eine 3D-Diagnostik wie z.B. dentale Volumentomographie (DVT) oder Computertomographie (CT) benötigt, da diese dem geübten Operateur im Normalfall keine weiterführenden notwendigen Informationen liefern.
Nach dem postoperativen Heilungsverlauf sollte sich eine kieferorthopädische Nachbehandlung anschließen. Dabei werden die Zähne des Ober- und Unterkiefers in regelrechter Okklusion eingestellt. Auch sollten bestimmte Habits, wie die Interposition der Zunge, die zu einem Rezidiv führen kann, logopädisch therapiert werden.